Kommentar: Der Staat ist Teil des Problems

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Der Staat ist nicht Teil des antifaschistischen Kampfes, er ist Teil des Problems –
Ein Kommentar zur Großrazzia gegen die „Reichsbürger:innen“-Bewegung

Mit einer bisher in dieser Form nicht dagewesenen Aktion sind Polizei und Justiz am 7. Dezember 2022 mit einer Großrazzia gegen eine Gruppe rechter Putschist:innen vorgegangen. 150 Objekte in 11 Bundesländern, sowie in Österreich und Italien wurden durchsucht, 25 Personen festgenommen. Unter ihnen sind ehemalige und aktive Angehörige der Bundeswehr, eine Richterin am Berliner Landgericht und ehemalige „AfD“-Bundestagsabgeordnete, Lokalpolitiker:innen der „AfD“ und weitere Rechte. Kopf der Gruppe soll ein adeliger Unternehmer aus Frankfurt sein. Den 52 Beschuldigten wird vorgeworfen, Teil einer terroristischen Gruppe zu sein und einen politischen Umsturz in der BRD geplant zu haben.

Die Aktion war von den Behörden augenscheinlich gut vorbereitet und koordiniert. Auch an die mediale Ausschlachtung wurde gedacht. Vielerorts sind „Investigativ-Reporter:innen“ vorab informiert und zu den Durchsuchungen mitgenommen worden. Zwischenzeitlich wurde weltweit über die Umsturzpläne der Gruppe berichtet.

Auch wenn ein paar Tage nach der Razzia noch Vieles unklar ist, finden wir es dennoch wichtig uns zum Komplex zu äußern und eine erste Einschätzung vorzunehmen. Gerade weil die Sache in den bürgerlichen Medien überproportional große Aufmerksamkeit erfahren hat und in der Gesellschaft an vielen Stellen Thema ist. Das Ende vorwegnehmend sei gesagt: Unreflektiert Stellungnahmen staatlicher Institutionen zu übernehmen, finden wir kritisch, die Behörden für ihr durchaus inszeniertes Handeln abzufeiern sehr gefährlich. Doch der Reihe nach.

Treffen sich ein Elitesoldat, eine „AfD“-Politikerin und ein adeliger Unternehmer und Gründen eine terroristische Vereinigung

Die am Tag der Razzia von der Generalbundesanwaltschaft veröffentlichte Erklärung liest sich, als seien Justiz und Polizei einem zeitnah drohenden Umsturz zuvor gekommen. Die Gruppe um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß zu Köstritz und dem ehemaligen Bataillonskommandanten Rüdiger von Pescatore soll nicht nur eine gewaltsame Machtübernahme geplant, sondern auch Vorbereitungen für die Zeit danach getroffen haben. Ein „Schattenkabinett“ sei aufgestellt gewesen, das Justizressort hätte die ehemalige „AfD“-Bundestagsabgeordnete und Richterin am Berliner Landgericht Birgit Malsack-Winkemann übernehmen sollen.
Neben einer „neuen Regierung“ sei unter Führung von Pescatore auch ein militärischer Arm aufgebaut worden, zu dem auch der ehemalige Nato-Funktionär und Oberst a. D. Maximilian Eder gehören soll. Dafür seien Schießübungen abgehalten und Kasernen für die Unterbringung von umstürzlerischen Truppen ausgespäht worden. Der Großteil der Durchsuchungen fand in Bayern und Baden-Württemberg statt.

Noch sind nicht alle Informationen auf dem Tisch. Es liegt aber auf der Hand, dass zu einem Umsturz mehr nötig ist, als ein „Schattenkabinett“ und ein (kleiner) „militärischer Arm“. Vieles spricht dafür, dass das Netzwerk zwar aktiv, aber weit weg von den selbst gesteckten Zielen war.

Dennoch wäre es absolut falsch, die Planungen als Spinnerei einiger Verwirrter abzutun. Wenn aktive sowie ehemalige, teils ranghöhere, Militärs die Zusammenarbeit mit Repräsentant:innen der politischen Rechten und Unternehmer:innenkreisen suchen und sich zusammen tun, dann ist das eine qualitative Entwicklung und eine unmittelbare Gefahr. Ganz unabhängig davon, wie weit die Planungen fortgeschritten oder wie realistisch einzelne Überlegungen waren.

Denn egal, wie abgedreht und absurd manch rechter Verschwörungsmythos sein mag, ihre praktischen Konsequenzen sind brandgefährlich. Wer „Reichsbürger:innen“ und „QAnon“-Anhänger:innen als Spinner abstempelt – wie in der Vergangenheit insbesondere durch bürgerliche Medien geschehen – trägt zur Verharmlosung der rechten bzw. faschistischen Gefahr bei. So unterschiedlich die einzelnen Ideologien sein mögen, so sehr haben sie einen gemeinsamen, menschenverachtenden Nenner. Die Zusammenarbeit von „AfD“, „Coronaleugner:innen“-Szene, „Reichsbürger:innen“ und „QAnon“-Anhänger:innen ist deswegen kein Zufall – sie ist folgerichtig.

Als bundesweit organisierte Kraft nimmt die „AfD“ hier als Vernetzungsplattform eine Schlüsselrolle ein. Die Beteiligung der nicht unwichtigen Flügel-Anhängerin Malsack-Winkemann zeigt das genauso, wie die Erklärungen aus der Partei zu den Durchsuchungen. Während der Bundesvorstand um Chrupalla und Weidel sich noch am 7. Dezember distanziert und sein „vollstes Vertrauen in die ermittelnden Behörden“ kundtut, hagelt es von Repräsentant:innen des faschistischen Teils für den Schulterschluss mit dem Rechtsstaat heftige Kritik. Beunruhigend ist in diesem Kontext, wie offen sich Funktionär:innen aus dem faschistischen Lager die Durchsuchungen und Pläne kleinreden und sich mit den Verhafteten solidarisieren.
Malsack-Winkemann war und ist keine Einzelerscheinung, sondern vielmehr eine jetzt sichtbare Spitze des parteiinternen Eisbergs und die „AfD“ schon lange mehr, als ein Scharnier zwischen unterschiedlichen rechten bzw. faschistischen Strömungen.

Was die Durchsuchungen zudem – einmal mehr – sehr deutlich belegen: Im rechten Lager gibt es Diskussionen und Vorbereitungen auf einen „Tag X“, auf den Sturz des bürgerlichen Parlamentarismus. Sie zeigen auch, wie tief staatliche Angehörige aus Polizei, Justiz und Armee in diese Netzwerke verstrickt sind. Und sie widerlegen – einmal mehr – damit die Mär von den „unpolitischen“ Behörden, die einfach nur ermitteln und „objektiv“ Recht sprechen. Der Staat steckt tief im rechten Sumpf.

Dass sich im Zuge der Pandemie ein Teil der Rechten weiter radikalisiert und Planungen konkretisiert, ist nicht neu. In den letzten Jahren kam es nahezu quartalsweise zu ähnlichen Aktionen – wenn auch nicht im gleichen quantitativen Ausmaß. Erinnert sei hier an den „Nordkreuz-Komplex“, der 2019 aufflog, die Razzien gegen die „Gruppe S.“ im Februar 2020, welcher aktuell in Stuttgart-Stammheim der Prozess gemacht wird und die Planungen zur Entführung Karl Lauterbachs. Warum also diesmal das „große Besteck“ und die mediale Inszenierung?

Der Staat ist nicht Teil des antifaschistischen Kampfes, er ist Teil des Problems

Der Großeinsatz vom 7. Dezember hatte sicherlich eine propagandistische Ebene. Er sollte die eigene Handlungsfähigkeit der Behörden aufzeigen und rechten Akteur:innen außerhalb (aber auch innerhalb) des Apparats die Grenzen aufzeigen. Bis hierhin und nicht weiter – ein Schuss vor den Bug.

Die Gruppe war dafür ein dankbares Ziel: Öffentliche Absichtserklärungen einzelner Mitglieder die Regierung stürzen zu wollen und kein besonders konspirativer Rahmen, bei dem sich polizeiliche und geheimdienstliche Ermittlungen leicht führen lassen. Gerade Anhänger:innen der Reichsbürger:innen-Szene stechen den Behörden oft genug früh ins Auge, geraten diese doch mit ihrem Widerstand gegen die kleinsten bürokratischen Verpflichtungen als Bürger:innen dieses Staates mit den Behörden in Konflikt.
Das martialische Aufgebot von SEK bis GSG 9 war sicher auch Teil dieser Inszenierung. Allerdings ist aber auch nicht von der Hand zu weisen, dass es gerade das „Reichsbürger:innen“-Milieu war, welches in der jüngeren Vergangenheit bei Durchsuchungen eine nicht unerhebliche Anzahl verletzter und teils toter Cops produziert hat.

Trotz der Aktion gegen die Prinzen-Gruppe, hat die an vielen Stellen zu Recht wiederholte Parole vom bürgerlichen Staat, der kein Interesse hat, gegen Nazis vorzugehen, deswegen natürlich nach wie vor ihre Gültigkeit. Die Razzien belegen das in unseren Augen einmal mehr, auch wenn es sich hier sicherlich lohnt, die Ereignisse etwas differenzierter zu betrachten.

Einerseits gibt es im bürgerlichen Lager ein aktuell dominierendes Interesse am bürgerlichen Parlamentarismus. Die Wirtschaftskrise zieht noch keine politische Krise nach sich, die tief genug wäre, als dass ein rechter Putsch mit der Gefahr eines Bürgerkriegs zur notwendigen Option wird. Die Faschist:innen werden gerade zur direkten Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung einfach nicht gebraucht.

Auch abgesehen von der aktuellen gesellschaftlichen Situation, wäre die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß zu Köstritz weit davon entfernt gewesen, zur Option für die herrschende Klasse zu werden. Dafür war sie tatsächlich zu abgedreht. Nicht wenige weltanschauliche und ideologische Aspekte lassen sich aber in gleicher oder abgewandelter Form bei Höcke, Elsässer oder Kalbitz finden. Dort wird momentan nur gesprochen – nicht gehandelt. Noch.

Der andere Aspekt ist, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht so bleiben müssen und es entsprechend auch ein Interesse gibt, faschistischen Kräften gewisse Handlungsspielräume zuzugestehen. Dafür mangelt es auch nicht an historischen Beispielen. Während der Putschversuch der NSDAP gegen die Weimarer Republik 1921 noch vom Staat gestoppt wurde, konnten die dahinterstehenden Strukturen erhalten bleiben und wurden nur wenige Jahre später gezielt finanziert und politisch integriert. Bis hin zur Machtübertragung 1933.

Dem harten und präventiven Vorgehen gegen rechte „Staatsstreichler:innen“ steht entsprechend auch ein ganz anderer Umgang mit anderen rechten Strömungen oder Ermittlungen bei rassistischen Morden gegenüber. Der Umgang mit dem rassistischen Anschlag in Hanau, das Gewährenlassen der „NSU“-Mordserie inklusive Verschonen des Unterstützer:innen-Netzwerks, die indirekte Finanzierung von Kameradschaftsstrukturen über V-Personen-Gehälter, … die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.
Solange die Faschist:innen dabei bleiben, migrantische Personen zu terrorisieren, haben sie vom Staat nicht viel zu befürchten. Die Ermittlungen gegen die Prinzen-Gruppe ist dafür ein dankbares Feigenblatt: „Seht her, wir tun doch was.“

Dazu kommt, dass diese beiden Aspekte Polizei und Justiz nicht einfach zum stumpfen Handlager der herrschenden Klasse machen, sondern die Behörden unterliegen, wie die Ereignisse selbst, durchaus gewissen Eigendynamiken. Aktive Faschist:innen in Uniform sind keine Seltenheit und an genügend Beispielen in den vergangenen Jahren zeigte sich, dass die Ermittlungsbehörden selbst knöcheltief im rechten und rechtsterroristischen Sumpf stecken. Das führt zum einen dazu, dass faschistische Bullen aktiver Teil in verschiedensten rechten Unternehmungen sind, wie zuletzt beim „NSU 2.0“, „Nordkreuz“ oder bei der jüngsten Razzia gegen die Prinzen-Gruppe. Zum anderen bringen die Verstrickungen von Polizei und Geheimdiensten in rechte Gruppen diese auch immer wieder in die Bredouille, wenn doch einmal konkret ermittelt werden soll. Die „NSU“-Untersuchungsausschüsse zeigten dies mehr als deutlich. Aber auch das „NPD“-Verbotsverfahren, dass an zu vielen V-Personen der Geheimdienste in der Partei scheiterte, ist ein weiteres Beispiel.

Und: Nicht zuletzt ist die logistische Meisterleistung vom 7. Dezember auch eine Großübung der Behörden zur qualitativen Weiterentwicklung. Die gewonnenen Erkenntnisse und die verbesserten Abläufe werden in Zukunft genauso zum Kampf gegen fortschrittliche und antifaschistische Kräfte genutzt werden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Und was nun?

Gut möglich, dass die Ampel-Regierung auch zukünftig mehr gegen rechte Strukturen vorgeht, als es unter Führung der Union geschah. Aus der zweiten Reihe der SPD wird als Konsequenz aus den Razzien die Vorbereitung eines Verbots der „AfD“ gefordert. Nach dem Regierungswechsel hin zu Rot-Grün in den 00-er Jahren war eine ähnliche Entwicklung auch schon einmal der Fall. Unter dem „Aufstand der Anständigen“ wurde für eine Weile eine härtere Gangart gegen Faschist:innen gefahren und antifaschistische Initiativen staatlich gefördert. Doch darauf können und dürfen wir nichts geben. Auch das hat der „Antifa-Sommer“ gezeigt. Nach dessen Ende waren die Nazi-Strukturen schnell wieder aufgebaut. Nur, dass einige Antifa-Strukturen sich bereits in den Ruhestand verabschiedet, in staatlichen Initiativen aufgegangen sind, oder sich anderen politischen Tätigkeitsfeldern gewidmet hatten. Unser Kampf stand am Ende schlechter da, als zuvor.

Wir sollten uns aber auch keine Illusionen machen. Weder darüber, dass der Staat wirklich antifaschistisch handelt, noch darüber, dass die antifaschistische Bewegung in ihrer aktuellen Verfassung die Stärke bzw. die Mittel hätte, Planungen wie die der jüngst aufgeflogenen Gruppe selbst aufzudecken oder sie gar zu unterbinden. Die Kreise, um die es hier geht, sind für die antifaschistische Bewegung aktuell nicht greifbar. Dennoch sind wir alles andere als machtlos.

Nicht wenige der Anfang Dezember Verhafteten sind bereits davor einschlägig in Erscheinung getreten. In den seltensten Fällen fangen Nazis an im „großen Rahmen“ zu planen. Sie machen lokal Politik, treiben sich im Umfeld schon existierender rechter Strukturen und Demonstrationen herum. Dort sind sie für antifaschistische Kräfte greifbar.

Die Arbeit dagegen fängt im Kleinen an: Die Verharmlosung rechter Gruppen, wie der „Reicherbürger:innen“-Bewegung, durch eigene Aufklärungsarbeit etwas entgegensetzen. Diese ernst nehmen, auch wenn sie absurde Pläne verfolgen. Mit Recherchearbeit lokale Akteur:innen, Vernetzungen und Entwicklungen aufdecken. Sich mit anderen Antifaschist:innen austauschen und überregionale Zusammenhänge nachvollziehen. Und mit diesen Erkenntnissen die Faschist:innen ganz praktisch überall da bekämpfen, wo sie in Erscheinung treten.

Damit uns das flächendeckend und kontinuierlich gelingt, brauchen wir zum einen das theoretische Handwerkszeug, um nicht nur die bürgerliche Gesellschaft und die Rolle der Faschist:innen zu verstehen, sondern auch das Handeln staatlicher Behörden richtig einschätzen zu können. Und zum anderen den Willen, eine große, schlagkräftige und handlungsfähige antifaschistische Bewegung aufzubauen.
In dem Wissen, noch ein ganzes Stück davon weg zu sein, alle faschistischen Bestrebungen stoppen zu können, aber in dem Bewusstsein, handeln zu können, nicht in Schockstare zu verfallen und Schritt für Schritt voran zu kommen.

Antifaschistische Aktion Süd
Dezember 2022