Gegen Rassismus und Antisemitismus! Zum Krieg in Gaza und seinen Auswirkungen in der BRD

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Seit dem Angriff des von der Hamas angeführten Militär-Bündnisses am 7. Oktober 2023 auf israelische Streitkräfte und dem Massaker an israelischen Zivilist:innen bestimmt der Krieg in Gaza die gesellschaftliche und mediale Debatte.
Auch viele Gruppen und Organisationen aus der antifaschistischen Bewegung haben sich seitdem „positioniert“ und „abgrenzt“, wenig wurde jedoch über die Konsequenzen für das eigene Handeln geschrieben und diskutiert. Eine Ausnahme ist hier sicherlich der Text der NEA aus Berlin.

Die Absage der überregionalen Demonstration gegen faschistische Umtriebe Mitte November in Eisenach verdeutlicht die Sprengkraft, welche der „Israel-Palästina-Konflikt“ nach wie vor in Teilen der antifaschistischen Bewegung zu haben scheint und welcher Schaden für den Kampf gegen Rechts daraus resultieren kann. In Anbetracht der auf allen Ebenen erstarkenden Rechten, ist momentan wenig fataler, als eine antifaschistische Bewegung, die gespalten ist.

Dieser Text ist unser Versuch, einen Beitrag zu einer konstruktiven Diskussion über Standpunkte und Aufgaben der antifaschistischen Bewegung im Kontext des Gaza-Kriegs zu leisten.

Kriegsunterstützung, rassistische Hetze, Repression
Die Diskussion und Berichterstattung um den Krieg in Gaza wird in der BRD durch bürgerliche Politiker:innen und Medien bestimmt. Die dort gesteckten Argumentationskoordinaten finden sich teilweise leider auch in (im weitesten Sinne) linken Kontexten wieder.
Analysen und Einschätzungen der Bürgerlichen zeichnen sich durch eine bedingungs- und zum größten Teil kritiklose Unterstützung des Vorgehens des israelischen Staates und dessen Militärs aus. Der Kontext von Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser:innen und die aggressive Siedlungspolitik im palästinensischen Westjordanland, ohne den der Krieg in Gaza nicht zu verstehen ist, bleibt dabei völlig außen vor. Für einen linken Blick auf den Krieg ist dieser Kontext jedoch unerlässlich.

Der Krieg in Gaza hat hierzulande für einen bisher nie dagewesenen Schulterschluss aller bürgerlichen Parteien – inklusive Teilen der Linkspartei und der „AfD“ – und diversen Medien gesorgt. BILD, taz, Habeck, Chrupalla, Merz und Co schüren mit dem Verweis auf den vermeintlichen „Kampf gegen Antisemitismus“ anti-arabische und anti-muslimische Vorurteile. Ganze Gesellschaftsgruppen, welche die „deutsche Staatsräson“ von der vorbehaltlosen Unterstützung des Staates Israels nicht teilen, geraten so unter Terror-Generalverdacht. Auch die Forderung und das Umsetzen einer neuerlich verschärften Asylpolitik ist in nicht unwesentlichen Teilen ein Ergebnis dieses Diskurses.

Beides – die rassistische Hetze und die einseitige Parteinahme zugunsten des israelischen Staates – mündet hierzulande in einer staatlichen Repressionswelle gegen die palästina-solidarische Bewegung. Das Tragen von palästinensischen Symbolen wie der Kufiya wird kriminalisiert, palästina-solidarische Demonstrationen werden grundsätzlich verboten oder von der Polizei niedergeknüppelt und das linke palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun wird in einen Topf mit der reaktionären Hamas geworfen und vom Innenministerium verboten.

Auf die Spitze getrieben wird das alles, wenn in der öffentlichen Debatte von „importierten Antisemitismus“ gesprochen wird. Dann, wenn so getan wird, als wären am Antisemitismus in Deutschland nur Migrant:innen Schuld.

Antisemitismus: Ein urdeutsches Problem
Natürlich ist Antisemitismus kein importiertes Problem. Er ist in erster Linie ein Problem der Gesellschaft in der BRD, dem Land, in dem Antisemitismus eine erschreckende und lange Tradition hat. Hier wurde die Verfolgung und die industrielle Ermordung von Jüdinnen und Juden – die Shoa – geplant und umgesetzt.
Antisemitismus ist in Deutschland aber kein Problem von gestern. Das zeigen Ereignisse wie die Affäre um den bayrischen Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger und seinen „Pamphlet aus der Jugend“ oder die Konjunktur von Verschwörungserzählungen mit meist antisemitischem Kern im Kontext der Corona-Pandemie deutlich. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 belegt die Aktualität und potenziell tödliche Konsequenz von Antisemitismus ohne Zweifel.

Wer vor diesem Hintergrund Antisemitismus als „importiertes Problem“ bezeichnet, verschließt die Augen vor der Realität, verdreht die Geschichte und lenkt bewusst vom Kampf gegen den Antisemitismus innerhalb der deutschen Gesellschaft ab. Die aktuelle Debatte zeigt mit Nachdruck, dass der Kampf gegen Antisemitismus in der BRD oft genug nur dann ein Thema ist, wenn er sich für die Hetze gegen Muslime und Migrant:innen nutzen lässt.

Hinzu kommt, dass die Bürgerlichen den Antisemitismusbegriff nutzen um jegliche Kritik an der israelischen Kriegs- und Unterdrückungspolitik zu delegitimieren. Durch den teils beliebigen, inflationären und bewusst falschen Gebrauch des Begriffs, wie die Vermischung mit Antizionismus, bis hin zu einem geschichtsrevisionistischen Bezug auf den Holocaust, wird dieser unscharf und entwertet. Mittlerweile ist man vielerorts soweit, dass beispielsweise das alleinige zeigen einer Palästina-Fahne als antisemitisch gebrandmarkt wird. Wie absurd, wie geschichtsvergessen, wie falsch.

Mehr als die Hamas: Der palästinensische Kampf um ein menschenwürdiges Leben
Die Hamas – eine reaktionäre, religiös-fundamentalistische und antisemitische Organisation – ist die aktuell dominante Kraft im palästinensischen Widerstand. Sie war es, die den Angriff vom 7. Oktober geplant, organisiert und maßgeblich durchgeführt hat. Die Massaker, die Misshandlungen und die sexuellen Übergriffe in den Kibbuzim sind nur mit diesem reaktionären Charakter der Hamas zu verstehen.
Darüber hinaus haben sich daran aber auch weitere Organisationen des palästinensischen Widerstands an der Aktion beteiligt, auch jene, die für sich beanspruchen eine linke Perspektive zu vertreten. Bisher ist eine (Selbst-) Kritik im Hinblick auf den 7. Oktober von diesen Strukturen jedoch weitestgehend ausgeblieben.

Das Weltbild der Hamas steht jeglicher linken Politik oder einem gemeinsamen Kampf von Palästinenser:innen und Israelis für eine befreite und solidarische Gesellschaft fundamental entgegen. Es ist jedoch falsch, die reaktionäre Ideologie der Hamas auf den gesamten palästinensischen Widerstand oder gar auf die gesamte palästinensische Communitiy zu übertragen. Ihr Widerstand gegen rassistische Unterdrückung, Besatzung, Ausbeutung und die aggressive Siedlungspolitik ist legitim und notwendig – auch militärisch. Ihr Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung sollte Bezugspunkt einer jeden linken und fortschrittlichen Politik sein.

Zerstört wird die Perspektive auf Frieden in Israel und Palästina nicht nur durch die Hamas, sondern eben auch durch die seit Jahrzehnten herrschende systematische rassistische Unterdrückung der Palästinenser:innen, die Besatzungspolitik und die alltäglichen Morde durch den israelischen Staat und rechts-religiöse Gruppen. Der neuerliche Höhepunkt ist der laufende Angriff der israelischen Armee auf Gaza, mit fast 20.000 Toten und unzähligen Verletzten.
Die Situation hat sich in den letzten Jahren unter der rechten Regierung Netanjahus immer weiter zugespitzt. Eine linke Kritik am (bürgerlichen) Staat Israel ist deshalb nicht per se antisemitisch, sondern schlicht und ergreifend notwendig. Die Solidarität und Unterstützung der Linken weltweit sollte deswegen auch all jenen gelten, die in Israel für Frieden, Freiheit und eine klassenlose und gleichberechtigte Gesellschaft kämpfen.

Ansätze für eine antifaschistische Politik und Praxis in der BRD
» Kampf dem Antisemitismus: Wenn Molotowcocktails auf Synagogen geschmissen werden, Davidsterne an Haustüren von Jüdinnen und Juden geschmiert werden und Jüdinnen und Juden angegriffen, muss die antifaschistische Bewegung Schutz und Widerstand organisieren.

» Kampf um die Deutungshoheit: Wenn Bürgerliche und Rechte den Antisemitismusbegriff zum politischen Instrument machen, darf die antifaschistische Bewegung nicht wegschauen. Im Gegenteil: Antisemitismus liegt dann vor, wenn – heruntergebrochen – Jüdinnen und Juden negative Eigenschaften aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit zugeschrieben werden. Erst recht dann, wenn das als Rechtfertigung für Diskriminierung, Hass, Hetze und Gewalt gegen sie dient.

» Kampf dem Rassismus: Wenn von importiertem Antisemitismus gesprochen wird, Grüne und Bild gemeinsam gegen palästina-solidarische Demonstrationen hetzen und Migrant:innen durch die Bürgerlichen unter Terror-Generalverdacht gestellt werden, muss die antifaschistische Bewegung dagegen Schutz und Widerstand organisieren und leisten.

» Solidarität statt Repression: Die Versammlungs- und Organisationsverbote von palästina-solidarischen Demonstrationen und Organisationen ist Ausdruck einer generellen autoritären Zuspitzung in der BRD, die letztlich auf die gesamte Linke abzielt. Sie beginnt natürlich auch dort, wo die Gegenseite am wenigsten Widerstand erwartet. Deswegen ist hier Solidarität gefragt, auch wenn wir uns in der Sache mit den palästinensischen Genoss:innen nicht bis ins Letzte einig sind.

» Gemeinsam gegen den Krieg: Die Solidarität mit und die Unterstützung von allen fortschrittlichen Kräften, die hier in der BRD für die Freiheit der Palästinenser:innen und für ein Ende des Mordens auf die Straße gehen, ist notwendig. Die antifaschistische Bewegung sollte Teil davon sein. Reaktionäre, antisemitische oder religös-fundamentalistische Strukturen, wie türkische Nationalist:innen oder Hamas-Ableger, haben dort nichts zu suchen. Sie müssen aus Protesten herausgehalten und bekämpft werden.

» Kampf der Rechtsentwicklung: Die antifaschistische Bewegung tut gut daran, nicht zu vergessen, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht. Der verschärfte Rassismus im Zuge des Krieges in Gaza wird letztlich die Rechtsentwicklung in Deutschland nachhaltig vorantreiben und auch Auswirkungen auf die Hetze gegen Geflüchtete und die Asylpolitik der BRD haben. Dem gilt es geschlossen entgegenzutreten.

Und zu guter Letzt:

» Keine Spaltung des Kampfes gegen Rechts: Uns ist bewusst, dass wir mit unseren Aussagen zumindest zu einigen Punkten in der Debatte eine starke Position beziehen. In einer Debatte, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland von Voreingenommenheit vermint und von Leidenschaften verwüstet wurde. Die am Ende formulierten Punkte sehen wir aber als Grundlage, die von allen im aktiven Kampf gegen Rechts – egal welche Position sie im Konkreten zum „Israel-Palästina-Konflikt“ haben – getragen werden müssen. Darauf kann ein weiterer gemeinsamer Kampf aufbauen.
In Zeiten, in denen die Rechte im Aufwind ist, ist eine solcher gemeinsame Kampf unerlässlich. Der Kampf gegen Rassismus und gegen Antisemitismus gegeneinander zu stellen ist falsch, denn er schließt sich nicht aus, sondern geht im Gegenteil Hand in Hand. Ein Standpunkt, den die antifaschistische Bewegung nicht über Bord werfen sollte.
Das soll nicht die notwendige Kritik an und den Kampf gegen antisemitische Ressentiments innerhalb der Linken vom Tisch wischen, sondern zu einer differenzierten Auseinandersetzung beitragen. Denn, nicht jede:r, der/die mit den teilweise zu vereinfachten Pro-Palästina-Positionen hadert ist gleich antideutsch und nicht jede:r, der im Bezug auf den palästinensischen Widerstand eine klare Kritik an den Fehlern der Offensive vermissen lässt, ist Antisemit:in.
Eine Spaltung der antifaschistischen Bewegung anhand des Gaza-Kriegs, Angriffe auf Linke, insbesondere migrantische Organisationen, oder Ereignisse wie die Absage der antifaschistischen Demonstration in Eisenach sind letzten Endes Wasser auf den Mühlen der Faschist:innen. Wenn die Bewegung nicht mehr in der Lage ist gemeinsam „AfD“ und Co zu bekämpfen, ist sie gescheitert. Das gilt es zu verhindern.

Antifaschistische Aktion Süd, 21. Dezember 2023

 


[Das Beitragsbild entstammt einer Aktion des Offenen Antifaschistischen Treffen Rems-Murr. Die vollständige Aktion und weitere Bilder finden sich hier. Vielen Dank, dass wir das Bild verwenden können.]